Vertrauen zurückgewinnen

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Seit Ende September 2015 ist Matthias Müller (62) Vorstandsvorsitzender der Volkswagen AG. Ein Gespräch über Vertrauen, sein Führungsverständnis und die Zukunft des Konzerns.

Text: Johannes Winterhagen  ___ 
Fotografie: Hartmut Nägele

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Herr Müller, was bedeutet Vertrauen für Sie persönlich? Vertrauen ist die Grundlage für alles, im Privaten genauso wie im Wirtschaftsleben. Im Zusammenhang mit der Diesel-Thematik wurden bei Volkswagen Regeln gebrochen und ethische Grenzen überschritten. Dadurch haben wir viele Menschen enttäuscht und Ver­trauen verspielt – bei Kunden, Investoren und Mitar­beitern, aber auch in der Politik und Öffentlichkeit. Dieses Vertrauen zurückzugewinnen, darum geht es uns. Und das sehe ich auch als meine wichtigste Aufgabe an.

Wie kann das gelingen? Vertrauen kann wachsen, wenn man einen Fehler eingesteht und den festen Willen zeigt, diesen zu beheben. Und zwar sowohl in den Auswirkungen, als auch in den Ursachen. In unserem Fall gehören dazu überzeugende technische Lösungen für unsere Kunden genauso wie die schonungslose Aufklärung der Vorkommnisse. Mit Blick nach vorn ist entscheidend, dass wir aus den Fehlern lernen und die richtigen Konsequenzen ziehen, damit so etwas bei Volkswagen nie mehr geschehen kann.

Was ist konkret zu tun, damit ein solch schwerer Fehler nicht wieder entsteht? Wir müssen alle relevanten Arbeitsabläufe analysieren, Schwächen identifizieren und diese ausmerzen. Das tun wir mit aller Konsequenz. Darüber hinaus arbeiten wir an unserer Fehlerkultur. Fehler gehören zum Leben. Es muss möglich sein, Probleme offen anzusprechen, auf allen Hierarchieebenen. Entscheidend ist doch, dass wir die Bereitschaft haben daraus zu lernen.

Sie haben mehrfach betont, dass Volkswagen sich nicht von der Krise lähmen lassen will. Was meinen Sie damit? Mir geht es um die Zukunftsfähigkeit von Volkswagen in einer Welt, die vor grundlegenden Veränderungen steht. Wir waren viele Jahre überaus erfolgreich. Um das auch unter veränderten Vorzeichen zu sein, müssen wir den Konzern neu ausrichten: in den Strukturen, im Denken und Handeln – also dem, was landläufig als „Unternehmenskultur“ bezeichnet wird – und auch in den strategischen Zielen für die Zukunft. Auf all diesen Feldern kommen wir voran. In diesem Sinne kann man sagen: Die Krise hat auch Türen geöffnet.

Sie haben das Thema Kultur angesprochen. Was heißt für Sie gute Führung? Vor allem offen zu kommunizieren, die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen und unternehmerisch mutig zu sein. In der Vergangenheit haben wir diese Haltung vielleicht nicht genug gefördert. Das Führungsverhalten grundlegend zu ändern, gelingt in einem Konzern unserer Größe nicht von heute auf morgen. Sie können sich nicht mit dem Megaphon ans Werkstor stellen und eine neue Kultur ausrufen. Entscheidend ist, dass wir als Vorstand die neue Art der Zusammenarbeit Tag für Tag vorleben.

Wie tun Sie das persönlich? Wenn ich vor einer Entscheidung stehe, spreche ich mit den Mitarbeitern, die mir die sachlich beste Information geben können – egal, wo sie in der Hierarchie stehen. Und ich höre genau hin, besonders wenn man mir widerspricht.

Künftig haben die Marken mehr Eigenständigkeit. Wie schaffen Sie es, die technischen Synergien im Konzern trotzdem zu nutzen? In meiner Zeit bei Porsche haben wir große Freiheiten genossen und sehr gute Ergebnisse er­zielt. Diese Selbst- und Eigenständigkeit wird allen Marken guttun. Syn­ergien heben wir, indem wir im Konzernvorstand wichtige Funktionen bündeln. Dies gilt beispielsweise für die Marken- und Produktstrategie oder für die großen Zukunftstechnologien. Wir setzen die Leitplanken, und innerhalb dieses Rahmens übernehmen die einzelnen Markengruppen die Umsetzung dann so autonom wie möglich. So wird der Konzern effizienter, schneller und beweglicher sein und sein immenses Potenzial in Zukunft noch besser ausschöpfen.

Sie stärken auch die Regionen. Was wird künftig überhaupt noch in Wolfsburg entschieden? Wir definieren in der Zent­rale, in welchen Regionen wir besondere Wachstums­chancen sehen und mit welchen Marken wir diese erschließen wollen. Die Umsetzung soll aber dann dezentral und vor Ort erfolgen. Dort kennt man die Bedürfnisse der Kunden am besten. Auch das hat mit Vertrauen zu tun.

Was tun Sie, damit Volkswagen in die Erfolgsspur zu­rückkehrt? Höchste Priorität hat natürlich, dass wir die Abgas­thematik im Sinne unserer Kunden lösen. Parallel dazu müssen wir Ideen entwickeln, wo der Konzern und die einzelnen Marken langfristig hinwollen. Deshalb arbeiten wir intensiv an einer „Strategie 2025“.

Was wird diese neue Strategie auszeichnen? Die „Strategie 2018“ war in Summe sehr erfolgreich, deshalb müssen wir auch nicht alles über Bord werfen. Es geht um eine mutige Weiterentwicklung, die größeres Gewicht auf Elemente wie Digitalisierung, Elektromobilität und gelebte Nachhaltigkeit legt. Diese Themen entscheiden über die Zukunft und müssen daher ganz oben stehen. Mir ist wichtig: Die neue Strategie wird nicht im Elfenbeinturm von einigen Wenigen erarbeitet, sondern in einem offenen, strukturierten Prozess.

Kann ein traditioneller Automobilhersteller beim Thema Digitalisierung Trends setzen? Das muss unser Anspruch sein. Unsere Kunden erwarten, dass wir ihr Fahrzeug mit ihrer digitalen Lebenswelt vernetzen. Das wollen wir nicht Branchenfremden überlassen. Im Gegenteil: Es ist unsere ureigene Aufgabe, neue Dienstleistungen und Geschäftsmodelle rund um unser Kernprodukt Auto zu entwickeln. Um das zu erreichen, werden wir die entsprechenden Kompetenzen im eigenen Haus aus- oder aufbauen, uns aber auch stärker für Kooperationen öffnen.

„Mir geht es um die Zukunftsfähigkeit von Volkswagen in einer Welt, die vor grundlegenden Veränderungen steht.“

___ Matthias Müller, Vorsitzender des Vorstands der Volkswagen Aktiengesellschaft

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Zum strategischen Schwerpunkt Elektromobilität: Wann wird das Elektroauto massentauglich? Der Volkswagen Konzern hat viele Milliarden in die Entwicklung von Elektro­fahrzeugen investiert. Daraus resultiert eine Palette von sehr attraktiven Elektroautos und Plug-In-Hybriden. Bis 2020 bringen wir mehr als 20 zusätzliche Modelle auf den Markt. Zum Ende dieser Dekade wird eine neue Batterietechnik zur Verfügung stehen, die es uns erlaubt, Fahrzeuge mit 500 Kilometer Reichweite anzubieten. Aber das allein wird nicht genügen. Parallel muss etwa sichergestellt sein, dass eine flächendeckende Lade-Infrastruktur, insbe­sondere an Autobahnen, zur Verfügung steht. Dafür setzen wir uns als Industrie ein.

Welche Rolle spielt Größe für Volkswagen in Zukunft noch? Größe im Sinne der Zahl verkaufter Autos ist kein Wert an sich. Wir streben vielmehr nach wertschöpfendem Wachstum. Es geht darum, dass das betriebswirtschaftliche Ergebnis so ausfällt, dass wir ausreichend Mittel haben, um mutig und nachhaltig in die Zukunft zu investieren. Nur so können wir unseren Erfolg in einer sich verändernden automobilen Welt dauerhaft sichern.

Wo steht Volkswagen im Jahr 2025? Ich bin zuversicht­lich, dass wir es schaffen, einer der weltweit führenden Partner für Mobilität zu sein. Und zwar sowohl im Personen- als auch im Güterverkehr, sowohl in urbanen Ballungsräumen als auch im Überlandverkehr. Dafür wird es notwendig sein, neue, intermodale Verkehrskonzepte zu entwickeln. Nur so können wir den Verkehrsfluss verbessern und die Um­weltbelastung in den Metropolen reduzieren. In den nächsten Jahren wird eine spannende neue Mobilitätswelt ent­stehen. Unser Anspruch ist es, diese maßgeblich mitzu­gestalten.